Die Messe ist noch nicht gelesen!

07.09.2021

Deutsche Branchenmessen werden nicht nur von Corona überschattet, sondern auch von Stimmungsmache gegen die Autoindustrie. Chefredakteur Bruckberger stößt dabei Einiges sauer auf. 

Es ist ein ganz besonderer Spätsommer, jener des Jahres 2021. Die Pandemie hält uns noch immer in Atem, aber die Branchenmessen IAA und Automechanika geben uns zumindest ein Stück Normalität zurück. Das Stück ist allerdings ein denkbar kleines. Denn abgesehen vom Coronavirus, weswegen die bevorstehende Automechanika in hybrider Form stattfindet, gibt es noch zahlreiche andere Störfeuer, die die Stimmung der Branche trüben.

Am Eröffnungstag der IAA seilten sich Aktivisten von Brücken ab und gingen im kalten Wasserbecken vor der Messe München baden. Die Plakate sind eindeutig: „Die Klimakrise startet hier“, „Stop driving Climate Change“. Die (deutsche) Autoindustrie befeuert die Klimakrise immer weiter, kritisierte Greenpeace-Verkehrsexperte Benjamin Stephan. Der Abschied vom Verbrennungsmotor müsse schneller erfolgen, so die Aktivisten.  

Gleichzeitig stiegen die Spritpreise zuletzt rasant an, sodass die einflussreiche Bild Zeitung groß titelte „Angst um unser Auto“. Pkw werden immer teurer, Leidtragende seien die kleinen Bürger, so der Tenor, die Pendler, die auf ihr Auto angewiesen sind. Und womöglich der Wirtschaftsstandort Deutschland, der von der Autoindustrie ein Stück weit abhängig ist.

Herausforderungen gibt es auch für die Werkstätten, die in Zukunft im Bereich alternativer Antriebe Gas geben und sich mit immer mehr Software-Anwendungen auseinandersetzen müssen. Diese Themen dominieren die bevorstehende Automechanika in Frankfurt, wo es beispielsweise einen Web-Talk zum Thema „Connectivity, neue datenbasierte Business Modelle und der rechtliche Rahmen“ geben wird.

Ein Stück vom alten IAA-Flair mit vielen Weltpremieren und Studien ist unterdessen trotz allem geblieben. Dafür steht beispielsweise die nächste Smart-Generation und nicht zuletzt der Markteintritt der chinesischen Marken Wey und Ora. 

Auch das zeigt freilich: Die Autowelt verändert sich. Und das ist durchaus gut so. Wer bremst verliert. Ärgerlich ist nur, wenn jegliche Sachlichkeit in der Diskussion verloren geht. Das gilt für Aktivisten genauso wie für Politiker*innen. Erstere gingen baden, während BMW die Recycling-Studie „i-Vision-Circular“ vorstellte – ein komplett wiederverwertbares Elektroauto. Letztere wiederum ziehen die Steuerschrauben an (siehe NoVA und MöSt in Österreich) und wettern gegen CO2-Emissionen des Autoverkehrs. Wo sind die Zeiten, als sich Politiker*innen mit lächelnden Werksarbeitern fotografieren ließen? Jetzt wird gegen das Auto Wahlkampf betrieben. Dabei sitzen die Politiker*innen in ihren Luxuswohnungen in der Stadt oder in ihren bequemen Dienstwagen samt Chauffeur. Der Durchschnittsverdiener, der pendelt, weil er sich eine Wohnung mit öffentlicher Anbindung gar nicht leisten kann und dessen Job womöglich an der Autobranche hängt, muss indes bluten. Es fällt schwer, da die Contenance zu bewahren. Denn eines steht fest: Die Sache mit der vom Zaun gebrochenen Mobilitätswende ist noch nicht zu Ende gedacht.