Die steirischen Diesel-Retter

Antrieb
28.07.2016

Auf ihrer Test­strecke in Gratkorn führte die AVL List GmbH eine breite Palette von Antriebslösungen vor, die auch den zukünftigen scharfen Abgasvorschriften gerecht werden. Automobilher­steller aus aller Welt schickten ihre Ingenieure zu den Testfahrten. 
48-Volt-E-Maschine und elek­trischer Verdichter steigern die Leistung und senken die Emissionen im Kia Optima Diesel.

Ein Gewitter verwandelt das Test-Oval der AVL in Gratkorn innerhalb von Sekunden in eine Rutschbahn. Der eben noch laut röhrende Alfa Romeo 4C schleicht in die Boxenstraße, wo sich die Gäste des AVL Test Drive bereits untergestellt haben. Zahlreiche Manager und Ingenieure von Automobilherstellern und Zulieferern aus China, Japan, Korea und Europa sind in die Steiermark gekommen, um im Supermarkt der innovativsten Antriebslösungen zu stöbern und sich aus dem AVL-Regal die für ihre Absatzmärkte geeigneten Lösungen auszusuchen. Vor ihnen eine Kolonne von 25 Demonstrator-Fahrzeugen, darunter der auf 510 PS Höchstleistung getunte Alfa 4c Hyper 200, aber auch einige konventionelle Limousinen, die mit spektakulären inneren Werten aufwarten. So überzeugt ein Kia Optima mit Dieselmotor, nachdem ihm die AVL-Ingenieure eine riemengetriebene 48-Volt-E-Maschine und einen elektrischen Zusatzverdichter verpasst haben, auf der Teststrecke mit deutlich verbesserten Fahrleistungen und einem um 15 Prozent niedrigeren Dieselverbrauch als beim Serienmodell. Michael Weißbäck, Leiter Antriebs­systeme Diesel Pkw bei AVL, erklärt die Details des Eingriffs seiner Ingenieure: „Der Antriebsstrang basiert auf einem 1,7 Liter Turbodieselmotor mit größerem Monoturbolader. Der E-Lader ist vor dem Abgasturbolader positioniert, im Getriebe wurden die Gänge um 14 Prozent verlängert.“ Fazit: Trotz des Getriebe-Downspeedings beschleunigt der 48-Volt-Dieselhybrid von 0 auf 100 km/h um 10 Prozent schneller als das Basismodell, wobei der E-Lader für eine lineare Geschwindigkeitszunahme ganz ohne „Turboloch“ sorgt. Weißbäck ist überzeugt: „Eine innovative Antriebslösung hat nur Chancen am Markt, wenn sie gleichzeitig weniger Spritverbrauch und mehr Fahrspaß bietet.“ 

Diesel mit Zukunft

Auf die Frage, ob der Dieselantrieb aufgrund verschärfter Abgaslimits zum Auslaufmodell werden könnte, antwortet der erfahrene Motorenentwickler: „Der Diesel hat im Vergleich zum Ottomotor um 15 Prozent niedrigere CO2-Emissionen und macht daher bei schwereren Fahrzeugen auch in Zukunft Sinn. Die Stickoxidemissionen bekommen wir durch neue Abgasnachbehandlungssysteme in den Griff.“ Anhand eines 3er BMW Demonstrators führt Weißbäck gemeinsam mit AVL-Geschäftsführer Robert Fischer das im Haus entwickelte Konzept zur Abgasnachbehandlung vor, mit dem sich sogar die strengen kalifornischen Sulev-Grenzwerte (super low emission) erreichen lassen. Die Abgase werden dabei mittels elektrisch beheiztem Katalysator, NOx-Speicherkat und einer eng an den Partikelfilter gekoppelten Harnstoffeinblasung gereinigt, bevor sie das Endrohr verlassen. „Damit unterschreiten wir nicht nur die europäischen, sondern auch die viel strengeren amerikanischen und chinesischen Grenzwerte deutlich“, sagt Robert Fischer. Für Michael Weißbäck ist die Untergrenze, bis zu der eine Diesel-Motorisierung Sinn macht, die Golf-Klasse. Für diese haben die AVL-Ingenieure ebenfalls eine Lösung entwickelt, die auch bei den ab 2017 durchgeführten strengeren Abgastests bestehen kann. „Wir haben einen Renault Megane mit konventionellem 1,5-Liter-Dieselmotor mit einem zusätzlichen 12-Volt-Verdichter ausgerüstet und konnten die CO2-Emissionen damit auf 75 Gramm pro Kilometer verringern“, erklärt Weißbäck. Für Automobilhersteller, die ab 2020/21 einen durchschnittlichen Flottenverbrauch von höchstens 95 Gramm CO2/km vorweisen müssen, ein durchaus attraktiver Beitrag zur Erreichung der Emissionsziele. „Der Vorteil dieser Lösung ist, dass sie auch den Fahrspaß durch ein verbessertes Ansprechverhalten des Motors erhöht, und dass sie sich außerdem sehr kostengünstig realisieren lässt“, erklärt Weißbäck. Welche der in Graz entwickelten Überlebensstrategien für den Dieselmotor tatsächlich den Weg auf die Straße finden werden, traut sich der steirische Motorenentwickler nicht mit Sicherheit voraussagen. „Das ist wie ein Blick in die Glaskugel“, meint Weißbäck, „momentan ist einiges in Schwebe.“

China wird zum Maßstab

Unter dem Motto „Der Powertrain für den chinesischen Markt“ steht die AVL-Tagung am nächsten Tag in der Helmut-List-Halle in Graz. AVL-Vorsitzender Helmut List gesteht in seiner Begrüßungsansprache China die derzeit wichtigste Treiberrolle der Automobilentwicklung zu. „China ist das letzte Land der unbegrenzten Möglichkeiten für die Autohersteller“, sagt List, „denn dort ist es den Menschen noch wirklich wichtig, ein eigenes Auto zu besitzen.“ Allerdings stellen die ab Dezember 2017 geltenden China VI-Emissionsstandards, die teilweise um 70 Prozent unter den Euro 6-Grenzwerten liegen, alle Hersteller vor große Herausforderungen. List empfiehlt daher: „Wer auf dem chinesischen Markt mit den weltweit strengsten Abgasvorschriften bestehen will, sollte in höchst effiziente Ottomotoren, eine umfangreiche Elektrifizierung sowie in Mildhybride investieren, die für einen breiten Kundenkreis leistbar sind.“