Test BMW F 850 GS Adventure - Allrounderin zum Luxuspreis

Test
07.06.2019

Von: Philipp Bednar
Die BMW F 850 GS in der Adventure-Version kann grundsätzlich viel: Straße, Schotter oder leichtes Gelände, sie befährt alles. Aber: Das bayrische Enduro-Touringbike ist viel zu teuer eingepreist.

Ergonomie

BMW ist bei der F 850 GS Adventure in kleiner, ergonomischer Kunstgriff gelungen: Sowohl kleinere als auch größere Fahrer werden auf der Bayerin eine passende Sitzposition finden. Serienmäßig ist die Sitzhöhe mit 875 Millimeter angegeben. Da der Sattel um den Schritt (Schrittbogenlänge) aber recht schmal ist, fühlt sie sich subjektiv niedriger an. Durch vier verschiede, optionale Sitzbänke, lässt sich die Höhe zwischen 815 und 890 Millimeter nach Bedarf anpassen. Der breite, konifizierte Lenker liegt typisch GS-Reihe sehr gut in der Hand und lässt den Reiter aufrecht, komfortabel und nur ganz leicht nach vorne gebeugt thronen. Der Tank fällt mit 23 Liter durchaus wuchtig aus, ist aber ebenfalls um den Schritt noch vergleichsweise schmal für sein Volumen. Die wuchtigen Sturzbügel sind optisch leider eine schwere Niederlage, dürften aber im Ernstfall einen guten Job verrichten und teure Verkleidungsteile verlässlich schützen. Fein gelöst: Der mit einem Handgriff per Hebel in der Höhe verstellbare Windschild. Wunderschön und gut ablesbar: das 6,5-Zoll-Vollfarb-TFT-Display. Gesteuert wird das Menü über die linke Lenkerarmatur. Die Bedienung ist überwiegend logisch, braucht aber etwas Eingewöhnungszeit. Extrem praktisch: Keyless-Ride - und zwar nicht nur für das Starten, sondern auch der Tankdeckel lässt sich ohne Schlüssel öffnen und schließen. Die optionale Navigationshalterung auf dem Lenker verdeckt den Starkknopf auf der oberen Gabelbrücke und der Fahrer muss den Kopf doch weit senken, um einen Blick auf das Navi zu bekommen. Da gibt es bessere Lösungen. Besonders pfiffig ist der Fußbremshebel: Mit einem Klappmechanismus lässt sich ein Adapter einklicken, der für das Fahren im Stehen ausgelegt ist, ohne dass man den Bremshebel verstellen muss. Cool. Ein einziger Bauchfleck ist das Softbag-Gepäcksystem auf der Testmaschine von BMW Motorrad. Die Gepäcktaschen schauen zwar ziemlich nach Rallye aus, sind im Alltag aber sehr unpraktisch. Und die unzähligen Zurrgurte sind so lange, dass wir sie neu verlegen mussten, weil zwei Gurte beinahe bis in die Hinterradfelge und Kette geragt hätten. Was ist den Bayern da bitte eingefallen? In Summe sitzt man aber gut und gerne auch länger auf der BMW F 850 GS Adventure.

Motor / Getriebe

Die Hardfacts: Der Zweizylinder-Reihenmotor (Paralleltwin) holt aus 853 Kubikzentimeter Hubraum 70 kW (95 PS) und 92 Newtonmeter Drehmoment. Optional gibt es die BMW F 850 GS Adventure auch als A2-Bike mit 35 kW (48 PS). Für einen sonoren, sportlichen Klang sorgt die Kurbelwelle mit 90 Grad Hupzapfenversatz und 270/450 Grad Zündabstand. Bedeutet: der Motor klingt mehr wie ein V2 als ein klassischer Reihenmotor. Auffällig: der Motor läuft für einen Zweizylinder erstaunlich ruhig und vibrationsarm. Serienmäßig kommt das Motorrad mit zwei Fahrmodi: Road und Rain. Optional lässt sich in Verbindung mit der Dynamic Traction Control (DTC) und ABS Pro der Fahrmodus Pro freischalten, womit die Fahrmodi um Dynamic und Enduro erweitert werden. Beim Wechseln zwischen den einzelnen Modi spürt man die Unterschiede in der Gasannahme und der Motorspritzigkeit recht deutlich. Sportive Fahrer werden wohl nur zwischen Dynamic und Road wechseln. Rain kappt die Leistung spürbar und Enduro ist - wie der Name vermuten lässt - für Offroadeinsätze gedacht, wobei die Traktionskontrolle und das ABS sich ebenfalls auf losen Untergrund einstellen. Der Motor selbst fühlt sich lebhaft und drehfreudig an, hat bereits bei niedrigen Drehzahlen einen starken Antritt und dreht frei raus. Der Sound stimmt auch (wobei das Testmotorrad einen Auspuffendtopf aus der Sonderausstattungsliste hatte). Loben muss ich mal wieder BMWs Schaltautomat. Damit lässt es sich ohne zu Kuppeln rauf- und runterschalten. Das funktioniert ab mittlerer Drehzahl aufwärts ganz, ganz toll und lässt die F 850 GS gefühlt noch flotter antreten. Beim Runterschalten gibt das System automatisch Zwsichengas, obwohl serienmäßig sowieso eine Anti-Hopping-Kupplung verbaut ist. Einziger Kritikpunkt: Beim Runterschalten bei gemäßigter Drehzahl geht ein spürbarer Ruck durch das Motorrad. Da schaltet ein routinierter Fahrer manuell geschmeidiger. Fazit: Der Motor steht mit 95 PS gut im Futter und fühlt sich stets agil an. Im Vergleich zur großen Schwester BMW R 1250 GS fehlt es aber spürbar an Dampf. Wer viel mit Sozius oder Gepäck unterwegs ist, darf ruhig zur großen Schwester greifen.

Fahrwerk

Feine Ergonomie, feiner Motor, wie sieht es beim Fahrwerk aus? Leider ernüchternd. An der Front werkt eine USD-Gabel mit 43 Millimeter durchmesser. Leider ist die Gabel nicht verstellbar. Nicht einmal in der Vorspannung. Das führt dazu, dass die Gabel vergleichsweise weich arbeitet und beim Bremsen tief eintaucht. Optional lässt sich das elektronische Fahrwerk Dynamic ESA nachrüsten, das verstellt aber nur das Federbein. Das ZF-Federbein lässt sich in Zugstufe und Vorspannung verstellen. Die für Straßenfahrer zu weiche Gabel wird von dem solide ansprechenden Federbein klar in den Schatten gestellt. Dazu kommt die eigenwillige Bereifung: Vorne steckt ein 21-Zoll-Drahtspreichenrad ohne Schlauch mit einem 90/90-Gummi drinnen. Hinten werkt ein 17-Zoll-Rad mit 150/70er-Bereifung. Am kurvigen Asphaltband wird das Fahrgefühl im Sportmodus dementsprechend intransparent und unpräzise. Speziell das Vorderrad vermittelt dem Fahrer zu wenig Feedback, um wirklich flott und selbstbewusst in den Radius zu stechen. Sicher fährt sich die F 850 GS jederzeit, aber wenn man es krachen lassen will, wird die Einlenkgeschwindigkeit zur Glaubensfrage. Im Test haben mich einige dezente Vorderradrutscher eingebremst und mir das Selbstvertrauen genommen. Umso stärker dafür die Heckpartie, die zwar ebenfalls kein supersportliches Feedback bietet, aber deutlich direkter mit dem Fahrer kommuniziert als die Front. Die Schräglagenfreiheit konnte ich daher nicht austesten. Für mich war der limitierende Faktor das unpräzise Voderrad und keine schleifende Fußraste. In Summe hat mich das Fahrwerk leider nicht überzeugen können. Und für den Preis muss die Gabel einfach verstellbar sein und mehr Feedback bieten.

Bremsen

Anders als bei der großen Schwester BMW  R1250 GS, vertraut BMW bei der F 850 GS auf Bremszangen von Brembo. An der Front kommen zwei 305 Millimeter-Bremsscheiben zum Einsatz, die von zwei Doppelkolben-Schwimmsättel gefasst werden. Hinten kommt eine 265 Millimeter-Scheibe mit Einkolben-Schwimmsattel zum Einsatz. Das Paket bremst ausreichend und solide. Mir fehlte der sportliche Biss und vor allem das Feedback am Bremshebel von der Vorderradbremse. Das BMW-ABS funktioniert tadellos, die Regelintervalle sind absolut in Ordnung. Aber in Kombination mit der weichen Gabel, dem schmalen Reifen und einem Leergewicht von rund 250 Kilogramm, bremst das nicht gerade sportlich. Die Front sackt tief ein, dann erst packen die Bremsen spürbar zu. Setzt man seinen Bremspunkt sportlich, muss man hinten mitbremsen, sonst geht einem gefühlt bald die Straße aus. Umso überraschender, dass die Hinterradbremse nicht nur sehr standfest, sondern überraschend präzise arbeitet. Ich habe mit der F 850 GS daher deutlich lieber hinten als vorne gebremst. Für ein Bike dieser Preisklasse, dass auch überwiegend auf befestigtem Boden bewegt wird, ist die Bremsperformance ausbaufähig. 

Aufgefallen

Wie kräftig sich die neuen 95 PS anfühlen, wie toll der Schaltautomat funktioniert, wie vielseitig und gemütlich die BMW F 850 GS sein kann, wie praktisch der Fußbremshebel mit dem Adapter ist und wie cool das BMW-Display aussieht. 

Durchgefallen

Das gezeigte Gepäcksystem ist durch die zu langen Zurrgurte unpraktisch. Die Handprotektoren sind nur für die Optik gut, das dünne Plastik würde im Sturzfall sofort hinüber sein. Die zu weiche Gabel und der viel zu hohe Preis für das Gebotene.

Testurteil BMW F 850 GS Adventure, by p.bednar

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