Test Honda CB1000R – Die Wheeliegöttin im Retrokleid

Test
27.09.2018

Von: Philipp Bednar
Jawohl, das lange Warten auf die neue Honda CB1000R hat sich gelohnt: Das fesche Nakedbike mit Retrocharme verbindet modernste Technik mit hipper Optik und sportlichen Fahreigenschaften. Nur ein schmerzhaftes Detail trübt den famosen Gesamteindruck. 

Ergonomie

Als ich die ersten Fotos der neuen Honda CB1000R gesehen habe, war ich mir nicht sicher, was es war: Nakedbike? Cruiser? Retrobike? Eine Cuvée aus allen dreien? Auf den Fotos wirkt sie bullig, maskulin, massiv. Als sie jedoch live vor mir steht, wirkt sie kaum noch bullig. Eher kompakt, schnittig. Gut, der Rundscheinwerfer - modern interpretiert – wirkt futuristisch. Die Tankform hingegen ein bisschen oldschool und trotzdem frisch. Das superkurze Heck hat mich gleich begeistern können. Der cruiserartig positionierte Kennzeichenhalter von der Schwinge wirkt cool. Die feinen Aluminium-Applikationen der +-Variante taugen mir sehr. Ein fescher Hobel. Aufgesattelt. Sieh an: Plötzlich wirkt das Bike richtig kurz. Der Tank ist flach, ähnlicher der MT-07, der Sitz bequem, bis auf den fragwürdigen Übergang zum Tank. Achtung: hohe Anschlaggefahr für das Gemächt. Die Fußrasten mit ihren irre langen Angstnippeln sind perfekt positioniert. Die Sitzhöhe von 830 Millimeter kann ich kaum glauben. Fühlt sich gar nicht so hoch an. Griff zum konischen Lenker. Knackig ist der Blick auf das Vorderrad. Man sitzt fast so vorderradorientiert wie auf einer Ducati Monster. Fahraktiv, nicht aggressiv. Sportiv, aber nicht gestreckt. Aber auch irgendwie gemütlich. Ich kann es nicht besser beschreiben, aber die Sitzposition ist bequem, mit einer Tendenz zum Cruiser, aber trotzdem aktiv. Kurz: Ergonomisch fühle ich mit pudelwohl auf der Honda. Zwei Knackpunkte gibt es aber: Der Windschutz ist doch eher bescheiden und der kleine Tacho ist ist schwer ablesbar. 

Handling

Beim Losrollen merke ich schon wie gut die Honda ausbalanciert ist: Selbst bei Schrittgeschwindigkeit fährt sie stabil, ohne unhandlich zu wirken. Ungewöhnlich lange kann ich im Stand mit beiden Füßen auf den Rasten an der Ampel balancieren. Beim Abbiegen in der Stadt wirkt sie extrem kurz, leichtfüßig, spielerisch ohne kippelig oder nervös zu sein. Auf der Autobahn liegt sie lange stabil. So lange, wie man als Reiter nicht unnötig am Lenker zupft. Greift man den Lenker zu fest und wird vom Fahrtwind gebeutelt, zeigt sich die Honda etwas pendelanfällig. Nie gefährlich, aber wahrnehmbar. Andere Nakedbikes fahren sturer geradeaus. Bei Highspeedkurven das gleiche Bild: Lange stabil und agil, werden ruckartige Kurskorrekturen mit einem nervöseren Geradeauslauf quittiert. Am Testtrack in Teesdorf der Öamtc Fahrtechnik brilliert das Powernaked wie selten ein Bike zuvor. Handlich, fast quirlig wetze ich durch die Kurven. Wechselkurven und Spitzkehren nimmt die CB1000R ganz natürlich und leicht. Vollkommen automatisch findet man im Sattel der Honda seinen Strich und kann diesen – bei Bedarf – auch noch in der Kurvenmitte korrigieren. Bei dem Testmodell waren Dunlop Sportmaxx D214-Reifen montiert. Als bekennenden Bridgestone S21-Fan, dessen Karkasse zu meinem Fahrstil sehr gut passt, habe ich in hoher Schräglage nicht die Vorderradstabilität gefühlt, die ich mir gewünscht hätte. Nicht falsch verstehen: Bis zum Knie- und Fußrastenschleifen kann man umlegen, aber genau dann wirkt die Front etwas weich auf der Reifenkante. So weich, dass ich zweimal das Gefühl hatte, dass das Vorderrad absolut am Limit ist. Ich hab einfach etwas Schräglage rausgenommen und schon war alles besser. Die langen Angstnippel haben übrigens ihren Sinn: Die Fußrasten dürften recht hoch angebracht sein, ohne Angstnippel würde da nichts schleifen. So ist man akustisch vorgewarnt, dass die Schräglagenfreiheit bald dem Ende zugeht. Das Handling zusammengefasst: narrensicher, leicht, spielerisch. 

Motor / Getriebe

Mein Herz gehört den Zweizylindern. Aber ganz ehrlich: Der Reihenvierzylinder mit seinen 998 Kubik und 145 PS und 104 Newtonmeter ist ein ganz feines Motörchen. Zwar läuft er nicht ganz so butterweich wie jener der Kawasaki Z900 RS Cafe, aber Gasannahme und Elastizität sind richtig gut gelungen. Im unteren Drehzahlbereich spürt man vereinzelt einen Lastwechsel und ein minimales Ruckeln nach raschem Gaszu- und aufdrehen. Aber ab der Mitte schiebt der Motor richtig gut vorwärts und entfaltet seine Leistung so etwas von vorherseh- und kalkulierbar, dass es einfach nur Spaß macht, die CB1000R nach Herzenslust auszuwinden. Es stehen vier Fahrmodi zur Verfügung: Sport, Touring, Rain und User. In allen vier Modi lassen sich Power, Motorbremse und Traktionskontrolle in drei Stufen anpassen. Für Hinterradfahrer ist die Honda CB1000R übrigens ein Traum: Traktionskontrolle ausschalten, Motorbremse auf Stufe 1 (Minimum), Motorpower auf Stufe 2 (direkte aber nicht nervöse Gasannahme und sanfter Einsatz) und Motorbremse auf Stufe 1 – fertig ist das beste Wheeliebike, das ich je gefahren bin. Vermutlich liegt es auch an der Geometrie der Honda, aber mit keinem Nakedbike konnte ich bisher so steil, sicher und lange am Hinterrad fahren. Braucht im Straßenverkehr natürlich niemand, aber wenn man es kann – und mit der CB1000R kann man es schnell – zaubert es einem einfach nur ein dickes, fettes Grinsen ins Gesicht. So leicht kann es sein. Ein Traum. Ich glaube trotzdem, dass es zum Großteil auch an der feinen Motorabstimmung liegt. Ebenfalls praktisch: Der Quickshifter mit Blipper-Funktion, bedeutet kupplungsloses Hoch- und Runterschalten. Im Test hat das ganz wunderbar geklappt. Zwar noch nicht ganz so perfekt und ruckfrei wie bei der Ducati Panigal V4 S, aber das Prädikat gut hat sich der Quickshifter redlich verdient. Sehr gelungen ist die drehmomentstarke Mitte des Motors. Ein Gang zu hoch ist für die Honda absolut kein Problem. Selbst zwei Gangstufen zu viel steckt die CB1000R locker weg. Die 104 Newtonmeter sind im Alltag deutlich spür- und abrufbar. 

Fahrwerk

So, jetzt beginne ich auf ganz, ganz hohem Niveau zu jammern: kein elektronisches Fahrwerk. Dafür vollverstellbare Fahrwerkskomponenten. Warum das Gejammer? Weil sie sich ein semi-aktives Fahrwerk verdient hätte. Dann würde die Honda ganz vorne mitfahren. Das bedeutet aber nicht, dass die konventionellen, vollverstellbaren Federelemente nicht gut funktionieren. Vielleicht etwas soft in der Grundeinstellung, macht die Honda alles mit genug Feedback mit. Ich verorte die leichte Präzisionsschwäche an der Front mehr beim Reifen als an der Gabel. Denn selbst wenn man hart in die Bremsen steigt, ist zwar Bewegung in der Gabel, aber sie rauscht nicht unter einem weg, sondern bietet genug Feedback, um zu spüren, wie viel die Front an Bremsdruck noch aushält. Gleiches gilt für das Federbein: Beim Aufsatteln setzt sie sich zwar hinten etwas rein, aber einmal in Bewegung, ist die Abstimmung ein guter Kompromiss aus Präzision und Komfort. Wer mächtig andrückt, wird sicher etwas in Richtung straffer nachjustieren müssen. Auch schwerere Reiter werden die Einsteller brauchen. In Summe ist das Fahrwerkssetting harmonisch und ausbalanciert gelungen. 

Bremsen

Typisch Honda wird bei den Bremsen und damit in puncto Sicherheit nicht gespart. Das kombinierte ABS ist nicht supersportlich, aber sportlich abgestimmt. Ultimative Spätbremser hätten gerne etwas spätere Eingriffe, für ambitionierte Sportfahrer reicht es aber locker aus. Die Bremsleistung der vorderen Stopper (zwei 310-mm-Bremsscheiben, Radialbremszangen mit Radialbremspumpe) ist fein, die Dosierbarkeit gut. Die Hinterradbremse (256-mm-Einzelscheiben, Doppelkolbenzange) ist sehr gut dosierbar und die Bremsleistung bemerkenswert gut. Kurz: Eine nicht zu scharfe, aber dennoch sportlich-direkte Bremsanlage, die genug Restpotenzial hat, um selbst sehr flotten Runden standzuhalten. 

Aufgefallen

Der stimmige Gesamteindruck, die vielen kleinen Details. Die überraschend gute Ergonomie. Die beeindruckende Wheeliefähigkeit. Wie unspektakulär der tolle Motor klingt. 

Durchgefallen

Die Sitzkante beim Tankübergang – aua! 

Testurteil Honda CB1000R, by p.bednar

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